Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. (Gen 1,1-2)
Angekommen
Eine neue Stadt, eine neue Aufgabe, neue Menschen. Unüberschaubar am Anfang, und doch aufregend und schön. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ schreibt Hermann Hesse in seinem vielzitierten Gedicht „Stufen“. Vielleicht besteht der Zauber darin, dass wir uns selbst und die Welt um uns herum neu spüren, wenn wir neu anfangen. Nichts ist selbstverständlich, alles ist interessant, ein bisschen rätselhaft und sonderbar. Wohin ich auch schaue, tun sich neue Blickrichtungen, neue Perspektiven auf.
Ich darf Zeit haben.
Eine Perspektive des Anfangs: Alles, jeder und jede ist gleich wichtig. Die Dinge haben sich noch nicht so sortiert, dass ich weiß, mit wem ich am dringendsten sprechen muss. Ich habe Zeit. Für jeden. Bald werde ich sortieren müssen, werde ich meine Gesprächszeiten limitieren, meine Termine genauer planen müssen. Bald muss ich auswählen und „Nein“ sagen, damit mir die Dinge nicht über den Kopf wachsen. Aber jetzt noch nicht. Ich bin am Anfang.
Ich darf zuhören und lernen.
Eine weitere Perspektive des Anfangs: Ich darf Fehler machen und Fragen stellen. Noch muss ich nicht alles wissen, an alles denken, alles „auf dem Schirm haben“. So kann ich den Menschen um mich herum die Gelegenheit geben, mir die Dinge zu erklären, sich als Experten zu erweisen, ihre Talente zu zeigen. Bald muss ich die Dinge selbst in die Hand nehmen, selbst Experte oder Expertin sein. Aber jetzt noch nicht. Ich bin am Anfang.
Ich darf Neues schaffen.
Und eine dritte Perspektive: Neues ist möglich. Manches ist vorgegeben und vorgeplant, manche Erfahrungen und Traditionen sitzen fest verwurzelt in tiefer, dunkler Erde am Wegrand und weisen die Richtung. Aber dennoch tun sich dazwischen offene Räume auf, die gefüllt werden wollen. Ein bisschen „Tohu wa bohu“, ein bisschen „wüst und wirr“ ist jeder Anfang. Ich kann mit jeder Entscheidung, die ich treffe, mich und die Welt um mich herum ein bisschen neu erfinden. Bald werden die Mühen der Ebene folgen, bald werde ich anstelle des „ersten Schrittes“ den x-ten Schritt machen, ich werde nicht mehr mitzählen. Aber jetzt noch nicht. Ich bin am Anfang.
Den Anfang im Herzen bewahren.
Wir alle kennen die Schöpfungsgeschichte. Gott schafft mitten im Tohu wa bohu, im ungeordneten Anfang, einen Paradiesgarten. Zuerst ist alles gut, aber natürlich kommt, was kommen muss: die Schlange. Wir wissen es, denn wir haben es immer wieder erlebt: Auf den Zauber des Anfangs folgen die ersten Enttäuschungen. Nicht alle Erwartungen kann ich erfüllen, nicht alle Erwartungen werden mir erfüllt. Bald trete ich in das erste Fettnäpfchen, treffe die erste Fehlentscheidung, muss den ersten Konflikt austragen. Dann gilt es durchzuhalten, nicht beleidigt, verbittert oder enttäuscht zu sein. Die Erinnerung an den Anfang kann dabei helfen.
In der Weihnachtsgeschichte des Lukas heißt es nach der Begegnung Marias mit den Hirten zu Betlehem:„Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.“ Die Erinnerung an den „Zauber des Anfangs“ hilft ihr, später die Last zu tragen, das Unvorstellbare zu begreifen und auszuhalten.
Und bei Hesse lesen wir weiter: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Möge es uns gelingen, die Erinnerung an den Anfang zu bewahren und immer noch wenigstens ein bisschen von der Offenheit und Neugierde, der Freiheit und Schöpferkraft des Anfangs im Herzen zu tragen!
Einen gesegneten Anfang des Kirchenjahres wünscht Ihnen und Euch
Pastoralreferentin Barbara Göb